GESCHICHTEN VON WEISS BIS SCHWARZ - Su Bo im Interview (2010)
Deine Arbeiten erzählen meist Geschichten: Sie sind Kombinationen aus Bild und Titel.
Wie entstehen die Geschichten? Hast du sie im Kopf, bevor du zu arbeiten beginnst?
Leben und Werk stehen bei mir in einem sehr engen Verhältnis. Meine
Arbeiten berichten von Gedanken und Geschichten des Alltags, in denen sich
der Betrachter wieder finden kann. Indem ich mein Leben, meine Erfahrungen
und Gefühle reflektiere, seziere ich mich praktisch selbst. Ich benutze meinen
eigenen Körper als Mittler für meine Erzählungen und versuche, die Facetten
des Lebens aufzuzeigen. So liegen in meinen Werken Schwarz und Weiß,
Lachen und Weinen, ganz nah nebeneinander.
Die meisten Ideen für meine Arbeiten entstehen spät abends auf meinem Bett,
die ich auf irgendwelche Zettel in meiner Reichweite skizziere. Wenn mir eine
Bildidee kommt, will ich keine Zeit mit dem Suchen nach dem Notizbuch
verschwenden. Am nächsten Tag will ich gleich meinen Einfall in Ton oder
Malerei umsetzen.
In welchem Verhältnis stehen in deinem künstlerischen Schaffen dreidimensionale
Arbeiten aus Ton und Malerei?
Aus einer Quelle können zwei Flüsse entspringen; genauso haben meine
Gedanken zwei Möglichkeiten sich auszudrücken. Die Entscheidung, ob Ton
oder Malerei, hängt allein von dem Thema und den Bedingungen der
Umsetzung ab. Es gibt Phasen, da arbeite ich nur mit Ton, dann entsteht
wieder lange Zeit nur Malerei. Das Verhältnis ist ein gleichberechtigt
Gegenseitiges: Ergänzend, bereichernd und aufklärend.
Also wird an die Stelle der Malerei letztendlich nicht die Bildhauerei treten?
Ich bin kein Bildhauer! Techniken über Arbeitsweisen mit Ton waren mir lange
Zeit unbekannt. Mein Umgang mit Ton ist und soll unbedarft sein, wie wenn
Kinder Ton mit ihren Händen formen. In dem Moment, wenn ich eine Bildidee
habe, möchte ich sie so schnell wie möglich realisieren. Aus Ton moduliere ich
meine Gedanken, wie ich sie als Skizze auf Papier bringen kann. Deshalb ist
Ton für mich eine dreidimensionale Zeichnung: In kurzer Zeit kann ich mein
Gefühl freilassen und ihm im Raum Gestalt geben. Damit besiege ich meine
eigene Ungeduld und gewinne aus der Arbeit mit Ton unerlässlich geistige
Nahrung. Meine Ungeduld war auch der Grund, warum ich am Anfang meine
Tonarbeiten nicht gebrannt habe - wider besseres Wissen. Einige hatten keine
Chance auf ein längeres Leben! Jetzt benutze ich den Ofen.
Wenn ich mir die Arbeiten aus Ton von dir ansehe, die in den letzten drei bis vier Jahren
entstanden sind, dann habe ich den Eindruck, dass sich einiges an deiner Arbeitsweise
verändert hat – und ich meine damit nicht nur die Tatsache, dass du nun die Tonfiguren
im Ofen brennst. Siehst du das genauso?
Meine Tonfiguren sind differenzierter geworden: Anfangs stand die
Einzelfigur, sozusagen der Prototyp, frei im Raum, später wurden es
mehrteilige Gruppen und kleinere, räumliche Andeutungen kamen dazu.
Heute haben sich die Räume dahin gehend verändert, dass es plastische Räume
sind, die auch einen szenischen Charakter aufweisen. Beinah als eine logische
Konsequenz folgte eine weitere Verkleinerung der Figur, um die Raumwirkung
zu sichern.
Eine männliche Figur mit kurzer blauer Hose, weiß-blau gestreiftem T-Shirt und
schwarzem Haar nimmt in deinem Werk die Rolle des Protagonisten ein. Warum hast du
ihr dieses Aussehen gegeben?
Die Figur kommt ursprünglich aus der Zeichnung. Ich brauche eine Figur, die
meine Gedanken trägt. Und da es meine Gedanken sind, meine ich, dass es am
besten meine Figur ist, die da die Geschichten erzählt. Ich finde es auch für
mich leichter, diese Figur erzählen zu lassen, da die Ansprache an den
Betrachter in direkter Linie folgt. Die Kleidung ist mein Zeichen, meine Marke.
Sie macht mich wieder erkennbar. Im Grunde hat das weiß-blau gestreifte TShirt
keine größere Bedeutung. An dem Tag, als ich die Figur zeichnete, gab
ich ihr die Kleidung, die ich selbst trug. Wichtig ist aber ihre naiv-kindliche
Wirkung. Es gibt keinen Anspruch auf Detailgenauigkeit oder auf eine
realistische Abbildung von Wirklichkeit. Ich möchte der Figur damit einen
Raum ohne Regeln, ohne Normen oder Vorschriften schaffen, in dem sie sich
ganz offen und frei entfalten kann.
Du schaffst der Figur eine Welt en miniature, ein eigenes Reich, dessen Größe ständig
zunimmt. Doch wirkt der Protagonist darin oft allein und verlassen. Ist das Thema der
Einsamkeit auch ein Thema in deinem realen Leben?
Gesellschaftlich betrachtet fühle ich mich nicht einsam. Dennoch meine ich
behaupten zu können, dass ich bis heute noch niemanden getroffen habe, der
mich richtig versteht. Daraus bedingt sich schon so etwas wie ein Gefühl von
Einsamkeit.
Ich mag diese Miniaturwelt, weil sie eine Weite in sich birgt und darauf wartet
von mir ausgegraben zu werden. Für mich selbst erschließt sich in den
Arbeiten ein Bereich, in dem ich mich abreagiere und meine innere Kraft
freigelassen wird. Ich habe gelernt, dass ich von diesem Raum mehr Dinge als
von irgendetwas anderem erfahren kann. Er ist wie ein Spiegel für mich, in
dem ich mich selbst neu entdecke.
Es scheint ein spezifisches Bildvokabular in deinem Werk zu geben, dass sich dem
Betrachter immer mehr durch deine seriellen Arbeiten erschließt. Welche Rolle spielt das
Serielle bei dir?
Ein Thema wende ich in Gedanken hin und her, betrachte es unter
verschiedenen Aspekten und suche dabei nach dem Wesentlichen der Aussage.
Dadurch entsteht das Serielle. Die Serie verschärft meine Bildsprache. Als
Beispiel können wir hier den Penis nehmen. Der Penis = männliches
Geschlechtsorgan: Aus ihm kommt der Samen der zur Vermehrung der
Menschheit beiträgt. Er steht in der Natur als Macht- und Statussymbol.
Männer benutzen ihn auch oft zum Nachdenken. Normalerweise wird der
Penis immer in einer warmen Hose versteckt und geschützt. Auch gibt es
selten Leute, die ihr Geschlechtsorgan draußen lassen, weil sie sich sonst
schämen. In meinen Arbeiten tragen die Männchen manchmal ihren Penis
unbedeckt, was sehr anzüglich wirkt. Damit legt er einen von der Gesellschaft
geheim gehaltenen Bereich offen, er leistet Widerstand und kämpft
gleichzeitig auch zwecklos. Das Männchen bedient sich seiner kleinen Macht,
indem er seinen eigenen Penis als Spielzeug gebraucht: hin und her,
unwissend, rebellierend, scherzend, sich quälend, selbstbewusst,... Daran
kann man seinen Charakter erkennen.
Die Arbeit Redner handelt vom Gehört-Werden-Wollen und von dem Nicht-Verstehen-
Können. Das Aneinander-Vorbei der beiden Positionen definiert das Tragischkomische in
der Arbeit. Dieses Spannungsfeld, in dem der Betrachter am Liebsten gleichzeitig Lachen
und Weinen würde, taucht immer wieder in deinem Werk auf. Ist das Leben für dich
tragischkomisch?
In Redner wird eine Handlung dargestellt, die sich tagtäglich in den
verschiedensten Situationen findet. Auf der einen Seite steht hier hinter einem
leicht erhöhten Stehpult der Protagonist: Voller Leidenschaft teilt er das, was
er zu sagen hat, seiner Umwelt mit. Die Körpergeste verrät den innerlich
erregt-konzentrierten Zustand des Redners, ganz von der Wichtigkeit seiner
Worte überzeugt. Auf der anderen Seite befindet sich ordentlich in Reih und
Glied Gras angepflanzt, das am Fuße des Stehpults zum Zuhören verpflichtet
ist. Leicht neigen sich die Spitzen des Grases mal nach links und mal nach
rechts: Fast könnte man meinen, sie lauschen andächtig seinen Worten. Alles
wirkt sehr harmonisch. Die Logik wird in Redner für einen Moment verrückt.
Tatsächlich sind die Bedingungen für Berührungspunkte zwischen Sprechen
und Zuhören aber nie gegeben gewesen und werden es auch nie sein. Das
Männchen kann nur in diesem Moment seine Macht auslassen, findet dabei
volle Befriedigung und doch ist sein Tun letztendlich sinnlos: So wie Nichts! Es
gibt keine Harmonie; sie existiert nur in der Fantasie. Vielleicht ist es vielen
nicht bewusst, aber das Leben hat das Potential dazu tragischkomisch zu sein,
weil durch dieses Aneinander-Vorbei der Wunsch nach Harmonie in so vielen
Lebenssituationen greifbar erscheint.
In vielen deiner Arbeiten verschwimmt die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit.
Ihnen haftet etwas Surreales an. Zum Beispiel die Plastiken Hero, Märchenleser oder
Atompilz erinnern an Traumbilder. Welche Rolle spielen Träume in deinem Werk?
Träume haben für meine Arbeiten keine weitere Bedeutung. Wenn ich etwas
anderes behaupten würde, müsste ich mich einen scheinheiligen Lügner
schimpfen. Beim Erzählen meiner Geschichte, von meiner Geburt bis heute,
und der Eindrücke von dem was ich sehe, was ich fühle, darin werden meine
Erinnerungen, meine Traurigkeit, meine Ängste, meine Macht, meine Lust,
meine Freude lesbar. Wenn ich meine Arbeiten ansehe, dann denke ich
manchmal, dass ich nackt vor mir selbst stehe. Das Nachdenken über meine
Arbeiten hat meinen Charakter verändert. Ich bin nun viel ruhiger als früher.
Ich wohne nicht mehr als einer unter vielen in dieser Gesellschaft, sondern ich
habe mir noch einen anderen Raum allein für mich erschlossen, von dem aus
ich mit einer gewissen Distanz den anderen betrachten kann: Mein Königreich
oder eine Miniaturwelt, wie du es vorhin nanntest. Ich versuche von dort aus
meine Erfahrungen, Gedanken und Erlebnisse über die Gesellschaft, in der ich
lebe, zu reflektieren. Es ist der ganz normale Alltag mit all seinen positiven
und negativen Seiten, der sich als Andeutung in meinem Arbeiten wieder
findet. Allerdings treibe ich meine Gedanken oft auf die Spitze. Mein Ziel ist,
Bilder mit sparsamen Mitteln zu schaffen, das heißt in der Reduktion soll
klärender Gehalt liegen. Wahrscheinlich ergibt sich in meinen Arbeiten daraus
eine Nähe zum Irrealen. Ich habe mich schon oft gefragt, ob mir dieser
zusätzliche Raum Glück gebracht hat. Heute kann ich sagen, dass ich in
diesem Raum mehr Lachen kann als vor ein paar Monaten. Der Humor in
meinen Arbeiten fand Unterstützung in bitteren Momenten meines Lebens.
Wie wichtig sind Positionen von anderen Künstlern im zeitgenössischen Bereich, bei
denen du vielleicht eine gewisse Verwandtschaft empfindest?
Die meisten Leute bringen meine Arbeit mit dem Werk von Fischli/ Weiß in
Verbindung. Das kann ich teilweise nachvollziehen, aber die Ähnlichkeit
beschränkt sich nur auf der äußeren Form. Ich fühle mich mehr mit den
Arbeiten von Erwin Wurm verwandt. Obwohl seine Kunst formal betrachtet
keine allzu großen Gemeinsamkeiten mit meinem Werk vermuten lässt, sind
wir uns doch in unseren Gedanken nah. Zum Beispiel haben wir beide ein
Interesse daran, ein Thema in vielen verschiedenen Varianten zu untersuchen
oder benutzen in unserer Bildsprache ganz einfache und alltägliche Dinge.
Schau dir nur an, was er mit Pullovern macht – er zeigt uns in seinen vielen
Living Scupltures ganz neue, kuriose Eigenschaften eines einzigen
Kleidungsstücks. Das macht er mit fast allen Objekten in seinen Arbeiten: Und
das ist so witzig! Seine Art von Humor ist meinem sehr ähnlich, wie ich finde.
Arbeiten von mir wie Im Karton oder Schwein auf Baum können das sicherlich
belegen.
Was hast du als nächstes vor?
Ich habe gemerkt, dass ich unendlich viele Geschichten erzählen möchte.
Kunstmachen ist ein sehr schwieriger Prozess. Aber am schwierigsten ist es
gegen mich selbst zu kämpfen. Wenn ich gewonnen habe, bin ich ein
wirklicher Held!